Hallo allerseits,
Ich bin seit August Diploma-Student (wohne in Frankfurt/Main) und und ich belege derzeit (berufsbegleitend) den BASIC-Kurs. Kürzlich habe ich die Basic 4 mit der Praxismischung „Unter der Haut“ abgeschlossen und auch hierzu, wie Ihr alle, ein sehr umfassendes und enorm hilfreiches Feedback bekommen. Nach vier Lektionen und einer steilen Lernkurve möchte ich hier meinerseits einmal ein kleines Feedback dazu geben. Zwar wird man gebeten das Feedback zu bewerten, aber nur bei den Optionen „neutral“ und „Daumen runter“ gibt es die Möglichkeit, auch einen Kommentar dazu zu schreiben, daher habe ich überlegt, ob ich lieber doch nicht den „Daumen hoch“ gebe, um etwas schreiben zu können. Nun habe ich mich dafür entschieden, den grünen Daumen abzuschicken und das Forum zu nutzen und formuliere damit auch gleich schon einen Verbesserungsvorschlag an die Kursleiter: Lasst doch vielleicht auch ein Feedback bei positiven Bewertungen zu.
Eine Sache, die mir bei allen Aufgabe und Abschlussfeedbacks aufgefallen ist, beschäftigt mich sehr und ich merke, wie sie auch meine Mixentscheidungen beeinflußt, aber ich bin mich nicht sicher, ob in guter oder ungünstiger Weise. Daher möchte ich das gerne einfach einmal mitteilen und würde mich auch über entsprechende Rückmeldungen freuen (von den Dozenten wie auch von anderen Kursteilnehmer:innen). Mir würde ein Austausch darüber jedenfalls helfen. Ansonsten teile ich hier auch gerne einfach nur meine Reflexion darüber. Es geht um die sonic vision, die sich mit jedem der Praxismischungen verbindet.
Es ist ja klar, und das wird am Anfang des Kurses auch deutlich gemacht, dass es nicht eine „richtige Lösung“ gibt, dass es immer auch eine Geschmacksfrage ist, die sich aber stets in (unseren) historisch und kulturell gewachsenen Hörgewohnheiten und genrebezogenen Üblichkeiten bewegen sollte. So weit, so klar.
Bei den Feinheiten habe ich dann aber doch bemerkt, wie meine „sonic vision“ sich in teilweise eine etwas andere Richtung bewegt hat, als diejenige von den Künstlern und Mixing-Engineers der jeweiligen Songs. Die Feedback zu den Abschussmischungen enthalten dann aber doch immer wieder auch Anmutungen eines „Zielbilds“, vor dessen Hintergrund die eigenen Mixentscheidungen auch bewertet werden. Ich meine damit nicht die EQ-Analyzerkurve, sondern die Ästhetik. Die Schwierigkeit, auf die ich hier immer wieder stoße ist: Welche Orientierungspunkte habe/nehme ich, um um meine sonic vision angemessen auszurichten, sodass sie mit der Künstlers/Dozenten möglichst konvergiert – das soll ja offenbar das Ziel sein, oder? Alles, was wir für unsere Orientierung haben, sind die Spuren mit einem „Beipackzettel“, dem Arbeitsauftrag – und natürlich unsere eigenen Hörerfahrungen, die je nach Genre mehr oder weniger gut ausgeprägt und differenziert sind. Kurzum: Meine grundsätzlich Frage bezieht sich auf das Referenz-Problem beim Mischen.
Wenn es dann einmal auf unvertrautes Territorium geht, wie bei mir z.B. mit dem Boom Bap Song „Zustände“ höre ich mich dann erstmal 1-2 Tage in das Genre ein, suche mir etwas heraus, was ich für relevant halte, frage Freunde, die diese Musik hören, lasse mir Empfehlungen geben, was man unbedingt hören und kennen muss. Daraus formt sich dann allmählich das Weichbild, das ich versuche mit dem Rohmix, den ich erstmal erstelle, in Einklang zu bringen. Beide Klangbilder werden dabei zu „moving targets“. Ich ändere den Roh-Mix dann allmählich immer mehr in Richtung des sich ausformenden Genre-Weichbilds und ich korrigiere letzteres aber auch gemäß der Richtung, in die das Material „will“. Irgendwann trifft sich beides irgendwo und das beginne ich dann allmählich für das gesuchte Klangbild zu halten.
Hier wäre meine erste (methodische) Frage: Ist das ein übliches vorgehen? Wir macht Ihr das (als Student:innen)? Im Profi-Bereich ist ist ja sicherlich zumeist so, dass der Mixing-Engineer entweder schon mehr von der Band kennt, die er/sie mischen soll oder eben nach Referenz-Mischungen (klanglichen Vorbildern) fragt bzw. mit den Musiker:innen über ihre ästhetischen Vorstellungen spricht. Beides steht in den Übungen aber nicht zur Verfügung.
So geschah es dann auch, dass ich das ästhetische Zielbild (was ja mit dem vorhandenen Original irgendwie schon gesetzt ist) nie ganz getroffen habe.
- Den ersten Song („Stuck“/ Pop-Rock)) habe ich eher etwas zu poppig gestaltet (Drums zu soft, Stimme zu laut); hier war ein deutlich rockigerer Sound gefragt. Zitat: „achte hierbei … darauf, dass vor allem … die Drums Druck machen“. Hier war das Problem für mich, dass ich den Song gar nicht primär als „druckvoll“ wahrgenommen habe. Im Vergleich mit der HOFA-Referenzmischung musste ich aber einsehen, dass sie besser klingt als meine Einreichung.
- Bei dem zweiten Song („Security“/ EDM) hatte ich generelle Schwierigkeiten, eine „sonic vision“ zu entwickeln, in der v.a. der Lead Synthi eine gut klingende Rolle spielen konnte. Mit dem konnte ich mich auch nach dem Hören der Referenzmischung nicht anfreunden. Ich empfinde hier immer den unwillkürlichen Drang, den Sound zu ändern (dass es auch in meinen Ohren gut klingt). Das steht aber natürlich in Konflikt mit der Aufgabe eines Mischers, der ja das herausholen oder realisieren soll, was der Künstler sich da gedacht hat und wünscht. Aber wie mache ich das in dem Moment?
- Bei dem dritten Song („Zustände“ / Boom Bap) war das gewünschte Klangbild des Originals deutlich mehr an einem old schooligen Sound orientiert; meines war etwas demgegenüber etwas zu „modern“ geraten: „Dadurch, dass du an diesen Stellen etwas drastisch bearbeitet hast, verlässt dein Mix die oldschooligere Ästhetik allerdings etwas zu sehr, auch wenn dir hier handwerklich eigentlich kein großer Vorwurf gemacht werden kann.“ – Woran aber hätte ich merken können oder müssen, dass ich gesuchte Klangbild „verlasse“?
- Bei dem vierten Song („Unter der Haut“ / Pop) habe ich erst eine Weile gebraucht, um mir einen Reim drauf zu machen, wohin der Song eigentlich will, ich kam dann heraus bei irgendetwas zwischen Pop, Schlager und Psychedelic/Classic-Rock. Ich habe dann den Schwerpunkt des Klangbild Richtung Schlager-Pop verlegt und die Psychedelic/Classic-Rock-Elemente (wie die Dive-Gitarre mit Delays etc) dem untergeordnet. Es hätte aber wohl eine deutlich rockigere Richtung gehen sollen, z.B.: „Die Drums in deiner Mischung empfinden wir als ziemlich leise – sie können ruhig noch lauter sein, um den Refrain druckvoller und dynamischer zu gestalten.“ Auch hier hatte ich (und habe immer noch) Schwierigkeiten, den song mit „druckvoll“ in Verbindung zu bringen. Im vergleichenden Rückblick stimme ich zu, dass meine Drums zu leise geraten sind. In der HOFA-Referenzmischung finde ich sie aber zu laut und etwas aufdringlich.
Nun geht es mir hier nicht darum, die Ästhetik der Songs als solche zu beurteilen (ist ja Aufgabe der Musikkritik), sondern was mich interessiert, ist die Frage, wie man unter den gegebenen Voraussetzungen am Besten an das gesuchte Klangbild herankommen kann. Mit den Künstler:innen kann ich ja nicht reden, frühere Songs werden auch keine zur Verfügung gestellt und der Beipackzettel nennt keine spezifischen Referenzsongs. Falls das in den künftigen Kurseinheiten so bleibt (und nicht z.B. konkrete Mischungen vorgelegt werden, die man „nachbauen“ soll), wäre meine Frage wäre also: Habt ihr (als Dozent:innen oder fortgeschrittenere Student:innen) Tipps, wie ich künftig besser zum gesuchten Klangbild der Praxismischung-Songs finden könnte?
Abschließend möchte ich bei der Gelegenheit auch einmal deutlich sagen, dass ich mit dem Diploma-Fernkurs sehr zufrieden bin; er entspricht und übertrifft teils meinen Erwartungen, ich finde die Konzeption insgesamt gelungen und die Dozent:innen repräsentieren ein breites Spektrum an fachlicher Kompetenz und individuellen Stilen, das Studium macht mir Freude und die Lernkurve ist steil. Vielen Dank dafür!
Alexander